Ein Foto als einzige Erinnerung
von Jens Besser
In den 1980’ern schwappte das amerikanische „Writing“ nach Europe über. Und mit ihm die Faszination bemalter Züge. Während im New York der 70’er die lokale Metro als rollende Leinwand entdeckt wurde, wählte man in mittleren Großstädten Europas Vorortzüge als Äquivalent. Die höhe Gefahr erwischt zu werden und die damit verbundene geringe Wahrscheinlichkeit der Fertigstellung des Kunstwerks macht den Zug zum ultimativen Malgrund für Sprüher.
Shlomo Faber’s Faszination für Züge hält nach über 10 Jahren Aktivität auf stählernen Riesen an.
Er reist quer durch Europa um bei Nacht Bahnanlagen nach abgestellten Zügen zu erkunden. Im Gepäck – Sprühdosen, Fotoapperat und Schlafsack .
Zwischen zwei und drei Uhr nachts ist es dann soweit. Der Künstler macht sich ans Werk. Das Herz rast und für einige Minuten verschwindet Shlomo im Delirium des Zugmalens.
Shlomo hat Glück – er wurde nicht entdeckt. Er nimmt den Fotoapperat zur Hand und schießt ein Foto. Ohne Blitz , denn er möchte nicht entdeckt werden. Die Langbelichtung braucht seine Zeit. Nur Sie transportiert die besondere nächtliche Atmosphäre.
Am nächsten Morgen steht Shlomo auf dem Bahnhof. Die „durchmachte“ Nacht zehrt an den Kräften. Der Zug fährt ein. Schnell zückt er den Fotoapperat, schießt viele Fotos und schon ist der Zug wieder weg. Auf dem Gesicht Shlomo’s – ein zufriedenes Grinsen. Und die Sicherheit ein Foto zu haben als einzige Erinnerung an ein bald vergangenes Kunstwerk.
Dieser Text wurde erstmals veröffentlicht im Katalog zur Ausstellung „about the nighshift“ 2010 / Dresden.